Hicks Bay Bedeckter Himmel, 21°C, das sind die Wetter-Parameter heute Morgen. Super, so lange es nicht regnet, wie im Wetterbericht vorhergesagt. Gegen 9:30 Uhr verlassen wir unser Motel in Gisborne (Wolfgang musste vorher für die Firma ein paar Dinge regeln) und fahren auf dem State Highway 35 (klingt groß, entspricht aber einer deutschen Landstraße) 180 Km gen Norden zum East Cape. Wir werden auf dieser Straße das „Eastland“ umrunden, wenn man so will eine Halbinsel, ein Anhängsel der Nordinsel, das dem ursprünglichen Neuseeland noch am nächsten kommen soll. Zudem besteht hier die Bevölkerung vorwiegend aus Maori. Das war mit ein Grund, weshalb wir uns für diesen nicht gerade touristisch attraktiven Abstecher entschieden haben.
Schon nach kurzer Zeit verlässt die Straße die Küstenlinie und wir kurven durch trockenes Buschland, Viehweiden und dichten Wald. An manchen Stellen könnte man sich vor lauter Nadelgehölz und kurviger Berg-und-Tal-Fahrt fast im Schwarzwald wähnen, wenn da nicht zwischen all dem Tannengrün auf einmal ein Ferntree (Farnbaum) oder ein Cabbage Tree (ähnlich einer riesigen Yucca-Palme) stünde. Schnell wird uns aber klar: dies ist eine gottverlassene und arme Gegend. Außer Viehzucht (vor allem Schafe) und Holzwirtschaft läuft hier rein gar nichts. Ersteres belegen die unzähligen Schafweiden und -Farmen, die wir zuvor im ganzen Land immer mal wieder gesehen hatten, hier aber noch viel häufiger. Und da liegt es fast nahe, dass wir zweimal „Opfer“ von Schafherden werden, die eine Weile lang auf der Straße vorangetrieben werden.
Auch in NZ sind Schäferhunde unerlässlich, witzig finden wir aber, dass der Schafhirte auf einem Quad sitz (wo bleibt da das Image des idyllischen Schafehütens?)! Dass viel Holzwirtschaft betrieben wird, belegen die vielen Laster, die leer in unsere Richtung nach Norden fahren und uns in mörderischem Tempo voll beladen entgegen kommen. Als wir irgendwann einen Berg sehen, der gerade abgeholzt wird, schütteln wir nur verständnislos den Kopf: hier werden wirklich komplette Waldstücke ausnahmslos abgeholzt und die Wurzeln auch noch mit Baggern ausgegraben. Als ob Neuseeland nicht schon genug mit der Bodenerosion zu kämpfen hätte. Erfreulich ist, dass es immer noch NICHT regnet.
Wir fahren zwei kleine Orte am Meer an. Der erste heißt Tolaga Bay und war Ende des 19. Jahrhunderts der größte Umschlagplatz (Wolle und Vieh) an der Ostküste. Damit die Waren von hier aus verschifft werden konnten, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts ein 660 Meter langer Verladesteg (aus Beton) in die Bucht gebaut, auf dem sogar Schienen verlegt waren. In den 1960-ern war der Zauber aber vorbei: der Steg (englisch: Warf) war baufällig, der Transport auf der Straße war günstiger und Gisborne wurde zur neuen Metropole an der Ostküste.
Unseren zweiten Stopp legen wir an der Tokomaru Bay ein, um am Strand ein wenig zu relaxen und anschließend unser Mittagessen (Coleslaw, Schinken, Käse, Humus…) einzunehmen. Schade, dass die Sonne nicht scheint, sie hätte der Szenerie gut getan. Aber wir sind froh, dass es weiterhin trocken ist. Gegen 15:00 Uhr erreichen wir Te Araroa, der Ort mit dem wohl ältesten Pohutukawa-Baum (350 Jahr alt, 40 m breit, 25 m hoch).
Hier biegen wir nach Osten ab, zu unserem eigentlichen Ziel: dem East Cape! Dies ist der östlichste Punkt Neuseelands und somit derjenige, an dem die Sonne als erstes aufgeht. Eigentlich hatten wir geplant, morgen früh zum Sonnenaufgang, ans East Cape zu fahren. Aber da es vollkommen bedeckt ist, macht dies keinen Sinn. Zudem ist die gut 20 km lange Straße zum Cape fast durchgängig eine Schotterpiste, auf der wir nur langsam voran kommen. Aber die Aussicht auf die wilde Landschaft ist die Mühe wert! Nach 45 Minuten kommen wir am Ende der Gravel Road an und haben nun noch den Aufstieg zum Leuchtturm am East Cape vor uns: 750 Stufen. Die kommen uns jedoch längst nicht so mühsam vor, wie die 250 Stufen am Cape Palliser, denn die Holzstufen winden sich den Berg hinauf durch den malerischen Urwald. Oben angekommen genießen wir kurz die Aussicht (wegen des trüben Wetters natürlich nicht das, was es sein könnte!) und machen uns nach 10 Minuten wieder rasch an den Abstieg, denn Regenwolken ziehen von Osten her bedrohlich schnell heran.
Auch wenn es im Rückspiegel unheimlich düster aussieht: wir bleiben vom Regen verschont und erreichen nach einer guten Stunde unsere Unterkunft in der Hicks Bay: die Hicks Bay Motel Lodge, die einzige Unterkunft weit und breit! Sie wird vom einstigen Boston-Marathon-Gewinner John Campbell betrieben und kommt sehr schlicht daher, was uns aber klar war. Die Zimmer sind sogar angenehm geräumig, leider riecht es hier aber muffig. Beim Abendessen allerdings werden viele Gäste auf eine harte Geduldsprobe gestellt, denn das Personal wird der Lage nicht Herr (heute übernachtet auch der Motoradclub aus Hawke’s Bay hier, ca. 30 Personen). Doch irgendwann haben auch wir unser Essen und gehen gegen 20:45 Uhr wieder auf unser Zimmer. Der Bericht über den heutigen Tag schreibt sich begleitet vom 2013-er Syrah vom Weingut Te Awa fast von selbst 😉